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Opfer und die Sinnfrage |
OPFER, welch ein vieldeutiges, vielschichtiges, ja problembelastetes Wort! |
Alles Hingeben, das zwischen der milden Gabe an Bedürftige und der freiwilligen Selbstaufgabe für ein großes Ziel liegt, enthält neben anderen Motiven auch das des Opfers. Es gibt Menschen, die ihr Leben ganz der Pflege von Kranken oder der Hilfe sozial Benachteiligter widmen. Man sagt, sie opferten damit die Chance ihrer eigenen Selbstverwirklichung. Sie selbst aber erkennen darin eine wichtige und schöne Aufgabe, in welcher sie ganz sie selbst sein können. Opfer werden auch für ein großes oder wichtiges Ziel gebracht -
nämlich um die Menschen aufzuwecken und ihre Aufmerksamkeit auf einen unhaltbaren Zustand zu lenken. Diese Form des Opfers wird mehr als ein Zeichen, seltener als praktische Hilfe wie etwa das Geschenk verstanden, obwohl beides nicht völlig voneinander zu trennen ist. Wir erinnern uns, dass sich ein tschechischer Student auf dem Prager Wenzelsplatz aus Protest gegen die sowjetische Okkupation selbst verbrannte. Dieses Flammenzeichen hielt das Bewusstsein der öffentlichkeit wach. Das Besondere an den meisten mir bekannten Opfern ist, dass sie einen übergeordneten Sinn, zum Beispiel ein politisches Ziel hatten. Es ist vorgekommen, dass man einen Sinn erst im Nachhinein konstruiert hat. Dass ein gebrachtes Opfer dadurch möglicherweise problematisiert wird, darf hier nicht verschwiegen werden.
Es gibt nämlich auch Opfer, die allen unseren Versuchen einer nachträglichen Sinngebung bisher widerstanden haben. Soweit sind das sinnlose Opfer. Ihre schmerzliche Spur besteht aus Fragen ohne Antworten und Leiden, die sich über Generationen wiederholen. Schließlich gibt es noch die Tat des Selbstmord-Terroristen. Ist sie Verbrechen und Opfer zugleich? Unser Gerechtigkeitsbegriff sträubt sich gegen diesen Widersinn. Aber gerade darüber nachzudenken scheint mir heute wichtiger denn je.
Mir ist es nach allem fast unmöglich, in angemessener Weise über das Opfer zu sprechen. Aber vielleicht lehrt mich das Aufarbeiten eigener Erfahrungen und Erlebnisse, deren Sinn ich bisher noch nicht entdecken konnte, mehr Zurückhaltung gegenüber der Versuchung einer allzu leichten Deutung. Und dennoch hat das Opfer selbst heute noch eine Bedeutung. Christus hat sich geopfert: Genauer gesagt, er hat die Chance, sich seinen Verfolgern zu entziehen, bewusst nicht genutzt und einen lebensgefährlichen Schritt gewagt. Er ist selbst denen liebevoll begegnet, die ihn gefangen nahmen. Selbst nach seiner Festnahme bestanden im Prinzip noch Chancen, z. B. wenn Pilatus ein der Gerechtigkeit verpflichteter Richter gewesen wäre. Heute würde man sagen "er starb in Erfüllung seiner Berufung". Darin liegt eine schlichte aber hohe Würdigung, denn sie gedenkt nicht nur des Opfers, sondern beachtet auch den Sinn, durch welchen dieses überhaupt erst seine Bedeutung erlangt. Vor diesem Hintergrund begreife ich nicht, warum das apostolische Glaubensbekenntnis ausführlich vom Leiden und Opfertod Christi spricht, sich aber über seine gewaltigen Glaubenszeugnisse und seine Lehre ausschweigt, der
mein Glaubensbekenntnis hauptsächlich gilt. Der Opfertod Jesu gleicht dem königlichen Siegel auf einem Brief, der das Kleinod der Botschaft enthält. An uns ist es, die Autorität des Siegels zu würdigen, nicht aber bei seiner Betrachtung stehen zu bleiben, sondern es sanft vom Umschlag zu lösen, die innen liegende Botschaft zu lesen und zu beherzigen.
Rolf Gutdeutsch
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Inhalt 2003-1
zum Frieden raten
Wirtschaft und Ethik
Geben-Danken- Nehmen
Opfer & Sinn
Opfer (Pollitt)
Willow-Creek Leitungsseminar
Singspiel- Premiere
Kreuzungen
Wie ein Strauß von Feldblumen
Terminübersicht April-Ende Juni
Impressum
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