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"OPFER, ein vielschichtiges, problembelastetes Wort!" |
Versuch einer Antwort auf Rolf Gutdeutschs Artikel über das Opfer |
Lieber Rolf, gestatte mir eine persönliche Replik auf deine Ausführungen zum Thema Geben - Nehmen - Danken, denn du sprichst mir aus dem Herzen, wenn du feststellst, dass der Begriff des Opfers vieldeutig, vielschichtig, ja Problem belastet sei. Dem kann ich nur zustimmen. Es wird sehr viel von Opfern, von Opferung, sich opfern, sich aufopfern gesprochen und geschrieben, wobei das Opfer teils passiv, teils aktiv ist, wo das Opfer unschuldig "zum Handkuss" kommt, wo das Opfer im Nachhinein zum Helden wird, wo auch das Opfer als besondere Leistung gesehen wird oder wo jemand sich selbst als Opfer sieht. Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Varianten des Opfers, die mir hier spontan gar nicht eingefallen sind. Ich möchte hier einmal ein paar Überlegungen, ja eher Gedankenfetzen formulieren, die sich mit der Frage des Opfers auseinandersetzen, denn manchmal habe ich das Gefühl, dass bei der Frage des Opfers einiges durcheinander gerät oder die Konsequenzen zumindest bedenkenswert sind.
Das Opfer kommt, denke ich, in allen Kulturen und Religionen vor. Ja auch in einer scheinbar völlig säkularisierten Welt ist der Begriff vorhanden und gerade das weckt meine Aufmerksamkeit, denn wer oder was wird wem in einer säkularisierten Welt geopfert? Sind da nicht womöglich einige Götzen darunter? Im religiösen Bereich ist die Sache noch einigermaßen klar. Hier opfert der Mensch einer Gottheit, um ihr Aufmerksamkeit zu widmen, sie zu besänftigen oder ihr einen Anteil am Erreichten zu geben. Je nach theologischem Hintergrund wird das Opfer einem persönlichen Gott dargebracht, dessen Macht willkürlich und unberechenbar scheint, oder es handelt sich um einen Gott, der über das Volk herrscht, zornig, aber auch versöhnbar ist. Zur Versöhnung dienen fest vorgeschriebene regelmäßige Opfergaben. Das Alte Testament überliefert besonders die letzte Form der Opfergaben, aber mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem sind auch die Brandopfer zu Ende, die im Tempel dargebracht werden. Doch wenden wir uns kurz dem christlichen Glauben zu. Hier spricht man sehr oft vom Sühnetod Jesu, der sich für die Menschen geopfert habe und, wenn ich die katholische Messe richtig verstehe, so wird das Opfer Jesu in jeder Messfeier wiederholt. Tatsächlich schreibt auch das Johannesevangelium vom Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt (Joh 1,29), das an die Praxis im alten Judentum erinnert, wo einem Bock symbolisch die Sünden des Volkes aufgelegt wurden und dieser dann in die Wüste gejagt wurde (Sündenbock). Die anderen drei Evangelisten haben aber nicht dergleichen Vorstellung. Auch im Glaubensbekenntnis gibt es diese Vorstellung nicht, obwohl natürlich die Formulierung "gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben..." die Verbindung mit dem Opfertodgedanken herzustellen ermöglicht. Aber wer opfert (sich)?
Jesus ging einen bestimmten Weg. Dieser Weg hatte die Konsequenz, dass er mit der jüdischen und römischen Obrigkeit in Konflikt kam. Er ging diesen Weg konsequent weiter, so dass er schließlich von der römischen Obrigkeit als Terrorist (Verbrecher) hingerichtet wurde. Natürlich lässt sich hier davon sprechen, dass Jesus sich für seine Sache selbst opfert. Seine Sache war die unterbrochene Beziehung zwischen Gott und Mensch, die sich nur noch in Ritualen äußerte, wieder herzustellen. Wenn nun also die ersten Jünger Jesu und die ersten Christen im Tod Jesu erkannten, um was es ging, dann lässt sich der Tod Jesu als Versöhnung zwischen Gott und Mensch bezeichnen. Die Problematik besteht aber darin, dass das "Opfer" oder die "Selbstopferung Jesu" umgekehrt verstanden wird, dass nämlich Gott dieses Opfer forderte, um mit den Menschen versöhnt zu sein. Diese Formulierungen kennen wir natürlich auch aus dem christlichen Glauben: Gott opfert seinen eigenen Sohn. Hier, lieber Rolf, habe ich aber so meine theologischen Anfragen und es droht Glatteisgefahr. Gott schickt seinen Sohn in den Tod, quasi ein letztes Menschenopfer für sich selbst? Ich möchte es anders sehen: Kann man den Tod Jesu vielleicht so verstehen, dass Gott eben gerade nicht in die Geschichte eingreift, um den Tod Jesu zu verhindern. Gott ist eben kein willkürlich herrschender Gott, der nach Belieben in die Geschichte eingreift, sondern die Menschen sind frei im Handeln? Nicht mein Wille geschehe, sondern Gottes Wille geschehe, sagt Jesus im Garten Gethsemane. Aber ist es der Wille Gottes, Jesus zu opfern oder ist es nicht vielmehr eine neue Beziehung zwischen Gott und Mensch, die Jesus im Doppelgebot der Liebe zusammegefasst hat? Und für diesen Willen tritt Jesus konsequent bis zum Tod ein?
Kommen wir noch auf das Opfer in einer säkularisierten Welt zurück. Hier frage ich mich immer wieder, wem das Opfer nützt oder für wen das Opfer gedacht ist: Wer ist hier die Gottheit, dem ein Opfer dargebracht wird? Deshalb möchte ich da doch gern unterscheiden, zwischen dem Opfer und der Diakonie. Alle Juden waren verpflichtet, Almosen zu geben, ebenso wie es auch im Islam später zu den 5 Säulen gehören wird, Almosen zu geben. Das ist natürlich die antike Sozialversicherung gewesen. Es gehört zu den religiösen Verpflichtungen, Almosen zu geben. Daher saßen die Bettler auch am Eingang des Tempels und baten um die Almosen und jeder fromme Jude warf ihnen ein paar Münzen zu.
Die Form des Almosens wird aber im Urchristentum durchbrochen. Es geht nicht allein darum, der religiösen Verpflichtung nachzukommen, sondern es geht um die Zuwendung zum Gegenüber. Und wenn ich die Möglichkeit habe, mit meinem "Reichtum" zu helfen und dies freiwillig tue, dann ist das mehr wert, als wenn ich allein auf Grund einer religiösen Verpflichtung etwas abgebe. Deshalb werden in der Urkirche bereits Diakone eingestellt, die sich um die Armen kümmern sollen. Und schließlich ist auch heute die Diakonie mit dieser Zuwendung beschäftigt.
Insofern halte ich die Kanzelabkündigung "Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb", um damit die Spendenfreudigkeit zu erhöhen, für etwas problematisch, weil da bereits wieder eine religiöse Verpflichtung durchklingt und gerade das soll es nicht sein. Es geht gerade bei Paulus darum, dass allein der Glaube zählt, alles andere sind Konsequenzen daraus. So wie Luther dann sagen wird, "sola scriptura, sola fide, sola gratia". Aber selbstverständlich folgt aus dem Glauben die Diakonie, sonst stimmt etwas mit dem Glauben nicht, nicht umgekehrt: Ich erfülle soundso viele Gebote und Verpflichtungen und das beweist mein besonders gutes Christ-Sein.
Der Begriff des Opfers ist, wie du richtig sagst, vielschichtig, ja Problem belastet: Auch im Protestantismus gibt es den Begriff Opferstock und ähnliches. Aber ich denke, dass hier im Protestantismus nicht gemeint sein kann, dass mit dem Opfer die Versöhnung mit Gott das Ziel ist, sondern dass aus christlicher Freiheit heraus anderen Menschen geholfen wird, eine Kirche gebaut wird oder was auch immer. Das "Opfer" in diesem Sinne ist keine religiöse Vorleistung für einen Logenplatz im Himmel, sondern eine Selbstverpflichtung aus evangelischer Freiheit heraus.
Lieber Rolf, den Begriff "Opfer" in wenigen Zeilen wirklich ausführlich zu analysieren, ist unmöglich. Vielleicht ist dein Beitrag und meine Ergänzung ein Anfang zu einer längeren Diskussion. Mit herzlichen Grüßen
Helmar Pollitt
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Singspiel- Premiere
Kreuzungen
Wie ein Strauß von Feldblumen
Terminübersicht April-Ende Juni
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